Auszug aus dem Schulprogramm der Martin-Buber-Schule Gießen
in der Fassung von 2014
1. Profil
Mit Eintritt in das neunte Schulbesuchsjahr wechseln die Schülerinnen und Schüler der MBS in der Regel in die Haupt- und Berufsorientierungsstufe (HBOS). Sie befinden sich dann auf dem Weg vom Jugendlichen zum jungen Erwachsenen.
Ein Schwerpunkt der Arbeit in der Stufe ist die Festigung bereits im Laufe der Schulzeit erworbener Strukturen und Fähigkeiten. Dementsprechend erhalten die Schülerinnen und Schüler weiterhin eine ihrem Leistungsstand entsprechende Förderung in den Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen. Diese findet meist themenbezogen im Rahmen des Gesamtunterrichts statt, dessen Themenschwerpunkte sich nun am Lebensalltag der Schülerinnen und Schüler sowie dem Ziel, gemeinsam Zukunftsvorstellungen zu entwickeln orientieren.
Im Wesentlich setzten sich die Inhalte und der Aufbau des Unterrichts in der HBOS aus drei Bereichen zusammen:
• Selbständigkeitsförderung für selbständigeres Leben und Wohnen
• Vorbereitung auf die Arbeitswelt
• Freizeit und Persönlichkeitsbildung
Selbständigkeitsförderung für selbständigeres Leben und Wohnen
Übergeordnetes Ziel unserer Schule ist es, die Schülerinnen und Schülern zu einem möglichst selbstständigen Leben zu befähigen. Eine entsprechende Förderung ist täglicher Bestandteil des Unterrichts.
Dementsprechend wird in der HBOS regelmäßig im Klassenverband gekocht wobei die Schülerinnen und Schüler selbständig und möglichst in Eigenorganisation hauswirtschaftliche Aufgaben übernehmen. Neben dem Üben der unmittelbaren praktischen Vorgänge, erhöhen sie ihre Alltagsselbständigkeit und lernen übergeordnete Zusammenhänge wie Müllentsorgung oder das Prinzip des finanziellen Haushaltes kennen.
Auch die täglichen Abläufe und Routinen im Klassenzimmer zielen auf die Förderung von Kompetenzen, die beim selbstständigen Bewältigen des Alltags nötig sind. Dazu gehört zum Beispiel die Beschäftigung mit Körperhygiene und persönlicher Hygiene wie dem Sauberhalten der persönlichen und gemeinschaftlichen Gegenstände, die Beschäftigung mit anfallender Wäsche, der Umgang mit Gegenständen des täglichen Gebrauchs (wie Handarbeitsmaterial oder elektrische Geräte) und das Kennenlernen und Anwenden von Ordnungssystemen.
Auch dem Aspekt der Mobilität kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu. Selbstständiges Orientieren in der Umwelt wird in vielen Unterrichtsgängen und Erkundungen außerhalb der Schule gefördert, betrifft aber auch den Schulweg. Im Regelfall werden die Schülerinnen und Schüler mit einem Busunternehmen befördert. Ziel des Mobilitätstrainings ist es, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler den Weg zur Schule selbständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigen können.
Vorbereitung auf die Arbeitswelt
Ging es in der Mittelstufe noch darum, vom handelnden zum theoretischen Lernen vorzudringen, wird in der Haupt- und Berufsorientierungsstufe der Schwerpunkt wieder mehr auf das praktische Handeln gelegt. Dementsprechend bietet die MBS Fachunterricht in verschiedenen Bereichen an, mit dem Ziel, den Jugendlichen Fähigkeiten zu vermitteln auf die sie in der späteren Arbeitswelt aufbauen können.
In klassenübergreifenden Kursen werden Inhalte der Arbeitswelt, der Freizeitgestaltung, der Identitätsförderung und Körperwahrnehmung sowie eine Förderung im Bereich der Unterstützten Kommunikation angeboten.
Die Jugendlichen absolvieren an der MBS aktuell ab dem 11. Schulbesuchsjahr mindestens ein Berufspraktikum pro Schulhalbjahr das sich an den Fähigkeiten, Interessen und Berufsperspektiven jedes einzelnen orientiert. Die Praktika in den geschützten Arbeitsbereichen der Werkstatt für behinderte Menschen finden möglichst zeitgleich statt. Umfassend behinderte Schülerinnen und Schüler machen ein Schnupperpraktikum in Tagesförderstätten um diese, die Eltern und nicht zuletzt sich selbst auf den anstehenden Übergang vorzubereiten. Je nach Interessenslage und Fähigkeiten, bieten wir den Jugendlichen in Kooperation mit dem Elternhaus die Gelegenheit durch Praktika in Betrieben des ersten Arbeitsmarktes Einblicke in das Arbeitsleben zu bekommen.
Zur weiteren Vorbereitung auf die Arbeitswelt dient die Dokumentation schulischer und außerschulischer praktischer Tätigkeiten in sogenannten Praxismappen, welche die Schülerinnen und Schüler für die Praktika und deren Auswertung sowie für Gespräche mit der Arbeitsagentur nutzen.
Gerade im Zusammenhang mit der Berufsvorbereitung ist Beratung ein zentraler Aspekt unserer Arbeit. Schon mehrmals veranstaltete die Martin-Buber-Schule einen Informationsabend mit Vertreterinnen und Vertretern von Institutionen die den weiteren Berufs- und Lebensweg unserer Schülerinnen und Schüler mitgestalten und begleiten. Weiterhin findet jährlich in der Schule eine Berufsberatung mit der Reha-Beratung der Arbeitsagentur Gießen statt, an der jeder Schüler und jede Schülerin spätestens im letzten Schulbesuchsjahr teilnimmt. Hier werden entsprechend den individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten bereits langfristig individuelle Wege zum Übergang in die Arbeitswelt entwickelt. Mit den Werkstätten für Menschen mit Behinderung und den entsprechenden Berufsbildungsbereichen stehen die Kollegen und Kolleginnen der Haupt- und Berufsorientierungsstufe ebenfalls in engem Kontakt. Regelmäßig finden gemeinsame Besichtigungen in verschiedenen Arbeitsfeldern mit den Jugendlichen statt.
Freizeit und Persönlichkeitsbildung
Um sich selbst im Rahmen der eigenen Lebensgestaltung als mündige Persönlichkeit zu erfahren gehört es dazu, Möglichkeiten der sinnvollen Freizeitgestaltung zu kennen und so Anregungen zur individuellen Entwicklung und Persönlichkeitsbildung zu erhalten. Impulse zur Freizeitgestaltung finden die Jugendlichen beispielsweise über die Unterrichts- und Projektangebote der Schule (vgl. dazu Kap. 8.4.2). Darüber hinaus nehmen Klassen oder klassenübergreifende Gruppen kontinuierlich an Veranstaltungen des öffentlichen Lebens teil, wie z. B. an Fußballturnieren, Wettkämpfen (Speed Stacking), Festen und anderen Veranstaltungen. Schülerinnen und Schüler mit einer umfassenden Behinderung erfahren mitunter durch die Teilhabe an solchen Angeboten Eindrücke und soziale Impulse.
Ein zentraler Aspekt für unsere Schülerinnen und Schüler ist das soziale Miteinander. Im täglichen Umgang der jungen Menschen im Lebensraum Schule entstehen Freundschaften in einer Qualität, wie sie im häuslichen Umfeld oft nur schwer über die Pubertät hinweg zu halten sind. Oft werden aus „Spielfreundschaften“ intensivere Bindungen über die Schulzeit hinaus. Die Jugendlichen und jungen Erwachsen erfahren sich neu, Freundschaften erhalten neue Bedeutung und auch Partnerschaften entstehen. Wir unterstützen die jungen Menschen darin, sich in dieser für sie wichtigen und mitunter schweren Zeit emotional zu orientieren. Freundschaft, Partnerschaft, Aufklärung und Verhütung sind je nach persönlicher Situation in unterschiedlicher Intensität Bestandteil des Unterrichts und des täglichen Miteinanders.
2. Besondere Angebote der Haupt- und Berufsorientierungsstufe
2.1. Fachunterricht Arbeitslehre
Die MBS bietet seit ihrem Bestehen Fachunterricht in den Bereichen Arbeitslehre/ Werken/ Keramik, Textiles Werken und Hauswirtschaft/ Kochen/ Wäschepflege an. Das Ziel ist, den Jugendlichen Fähigkeiten zu vermitteln, auf die sie in der späteren Arbeitswelt aufbauen können. Es werden vielfältige Aspekte der Be- und Verarbeitung unterschiedlicher Materialien wie Holz, Metall, Kunststoff, textile Materialien, Ton, Nahrungsmittel und schuleigene Wäsche vermittelt. Erlernt werden Arbeitstechniken, der Umgang mit unterschiedlichsten Werkzeugen, Geräten und Maschinen, soweit sie für die Handhabung durch den jeweiligen Schüler bzw. die jeweiligen Schülerinnen geeignet und zulässig sind. Neben der Entwicklung von Arbeitshaltungen wie Sorgfalt und Ausdauer, der sachgerechten Arbeitsplatzgestaltung, dem Kennenlernen und Einhalten von Arbeitsabläufen in ihrer richtigen Reihenfolge liegt ein weiterer Kompetenzschwerpunkt im Bereich der Sicherheit und Unfallverhütung am Arbeitsplatz. Die Unterrichtsthemen selbst werden im Sinne projektorientierter Vorhaben möglichst mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam entwickelt. Eine weitere Bedeutung bei der Hinführung zur Arbeitswelt besteht darin, durch die Fachangebote den Schülerinnen und Schülern ein größeres Spektrum an Räumlichkeiten zu eröffnen und darüber hinaus mit wechselnden (Bezugs-) Personen die Schulwoche zu bestreiten.
2.2. Wahlpflichtunterricht in Kursen (WPU-Kurse)
Exklusiv für die Haupt- und Berufsorientierungsstufe werden aktuell folgende WPU-Kurse angeboten:
Textiles Werken: Das Textile Werken befasst sich mit der Verarbeitung verschiedener textiler Materialien mit Hilfe unterschiedlicher Arbeitstechniken und orientiert sich an den Zielen und Inhalten des Fachunterrichts. Im Rahmen der Berufsorientierung werden dabei Themen wie Vermarktung, Überlegungen zur Preisgestaltung und Werbung behandelt und an praktischen Beispielen erprobt.
Wäschepflege: Die Wäsche AG nimmt nach einem genau durchstrukturierten Modus die Gebrauchswäsche aus den Klassen entgegen, wäscht, bügelt und lagert sie und gibt entsprechende Gebrauchswäsche aus. Auf diese Weise lernen die Schülerinnen und Schüler einen wesentlichen hauswirtschaftlichen Arbeitsbereich kennen und beherrschen während sie gleichzeitig einen sinnvollen Beitrag für die Schule und Schulgemeinde leisten.
Fahrradwerkstatt : In der Fahrradwerkstatt erhalten unsere Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, Fahrradtechnik kennenzulernen, um sich vielleicht einmal selbst bei Pannen helfen zu können. Darüber hinaus werden sie lebenspraktisch in einem technischen Lernfeld auf die Arbeitswelt vorbereitet.
Lerninhalte des Unterrichts liegen im technischen, (fein-)motorischen und Verhaltensbereich. Ziel ist es, nach Absprache selbständig und planvoll zu arbeiten sowie sich bei Problemen Hilfe zu holen.
Werken: Inhaltlich entspricht dieses Wahlpflichtangebot dem Fach Arbeitslehre. Um ein Werkstück zu bearbeiten oder herzustellen, steht hier das Kennenlernen unterschiedlicher Werkstoffe, die sachgerechte Handhabung entsprechender Handwerkzeuge, der Einsatz von Maschinen im Vordergrund. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich mit der Planung und Konstruktion einer Werkarbeit auseinander unter Berücksichtigung von Sicherheitsregeln am Arbeitsplatz.
Garten & Umwelt/ Hausmeister & Gebäudeservice: Die Arbeitsgruppe „Garten und Umwelt“ sowie „Hausmeister und Gebäudeservice“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Außenanlage sowie das Gebäude der Martin-Buber-Schule zu pflegen und wiederkehrende Arbeiten durchzuführen.
Durch die Anwendung verschiedener Arbeitstechniken sollen die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft eine konkrete Vorstellung davon der Vor- und Nachteile einer Arbeit an unterschiedlichen Arbeitsorten erhalten. Es wird ein konkreter Einblick in die Berufsfelder Gärtner oder Gärtnerin bzw. Hausmeister oder Hausmeisterin vermittelt.
Kunst & Keramik: Im Wahlpflichtunterricht „Kunst & Keramik“, dessen Schwerpunkt im Erwerb von Kompetenzen zur Freizeitgestaltung liegt, werden die feinmotorischen Fähigkeiten der Jugendlichen gefördert. Sie erlernen gestalterische Fertigkeiten und Techniken und entfalten ihre Kreativität.
Mädchengruppe: Um eine positive weibliche Identität entwickeln zu können, benötigen Mädchen mit einer geistigen und körperlichen Behinderung bisweilen unterstützende Angebote. Der WPU ‘Mädchengruppe’ verfolgt dieses Vorhaben, wobei den Schülerinnen ein Freiraum geboten wird, den sie selbst bestimmen und mit Inhalten füllen können. Soweit möglich werden die Ideen der jungen Frauen umgesetzt und durch von Seiten der Pädagogin ergänzt. Diese Persönlichkeitsförderung soll zu einem stabilen Selbstwertgefühl beitragen und die Selbstwahrnehmung fördern. Im geschützten Rahmen der Mädchengruppe können verschiedene Verhaltensmuster hinterfragt und neues Verhalten ausprobiert werden.
Bewegung und Entspannung: Der Kurs Bewegung und Entspannung findet in der Turnhalle statt. Das Angebot integriert Übungen aus den Bereichen Psychomotorik, Basale Stimulation und traditionellen Entspannungsverfahren, um über die Arbeit mit und am Körper Entwicklungsprozesse anzustoßen. Dies zielt darauf ab, den eigenen Körper zu erfahren und Techniken kennenzulernen, um das eigene Wohlbefinden zu befördern.
Unterstützte Kommunikation: Im Rahmen des WPU findet für Schülerinnen und Schüler der HBOS ein exklusiver Förderkurs im Bereich der Unterstützten Kommunikation statt. Dabei arbeitet die Kursleiterin individuell mit den Jugendlichen auf ihrem aktuellen Entwicklungsniveau und leitet die begleitenden Integrationskräfte darin an, die Förderung auch im Klassenalltag optimal umsetzen zu können (vgl. Kap. 9.4.2).
Die Realisierung des WPU-Tages für die Berufsorientierungsstufe begann im Schuljahr 2013/14 und befindet sich aktuell in der Erprobungsphase. Änderungen zur Optimierung werden daher fortlaufend erprobt und evaluiert.